Die Frage nach dem, was „Wirklichkeit“ ist, gestaltet sich schwerer als man zunächst denken mag. Sind Gefühle, Schönheit, Vorstellung, Wahrnehmung wirklich? In Experimenten wie der Beobachtung des Basketballs, optischen Täuschungen, oder der Fischergeschichte wird deutlich, dass die „Wirklichkeit“ nicht exakt definiert werden kann. Um diesem Umstand gerecht zu werden kann die Unterscheidung zwischen „Wirklichkeit“ und „Realität“ hilfreich sein.
Aus Sicht der Geisteswissenschaft ist Wirklichkeit das, was wir aus unserer Perspektive als Wirklichkeit feststellen können. Dass diese Feststellung alles andere ist als objektiv und eindeutig zeigen die Erkenntnisse rund um die Theorie des Konstruktivismus. Nach dieser Theorie hängt unsere Wahrnehmung von gemachten Erfahrungen, Wissen und Erwartungen elementar ab.
Nach jüdische-christlicher Tradition ist die Wirklichkeit bestimmt durch das Thema „Gott“. Gott, der den Menschen erschuf, mit ihm Gemeinschaft haben möchte und diese Gemeinschaft durch die Sünde „gestört“ ist. Besonders von Bedeutung ist hier der erste Schöpfungsbericht in Genesis 1 und die in Gen 1,28 genannte Ebenbildlichkeit Gottes. Die zum Verständnis dieser Berichte herangezogene Methode ist die Hermeneutik.
Häufig wird proklamiert, dass das Wirklichkeitsverständnis der Naturwissenschaft und der der jüdisch-christlichen Tradition sich gegenseitig ausschließen. So denkt zum Beispiel der Naturwissenschaftler Richard Dawkins. Ein Beweis sieht er im Widerspruch der Kreationisten [intelligent design] zur Evolutionstheorie.
Darauf aufbauend stellt sich die Frage: „Darf der Mensch alles, was er kann?“ z. B. Gentechnik, Medizintechnik, Digitalisierung; Zukunftstechnologien; Künstliche Intelligenz – oder wo sind dem Menschen Grenzen gesetzt? Ein Ansatz für eine Antwort auf diese Frage kann sich in den biblischen Gerechtigkeitsvorstellungen finden lassen:
Um eine Gerechtigkeitsvorstellung mit biblischen und theologischen Aussagen überhaupt vergleichen zu können, müssen zuerst einmal die Aussagen der Bibel zur Sozialen Gerechtigkeit darstellbar sein. Auf alle Fälle wichtiger als einen vollständigen Überblick über alle Details im AT bieten zu können ist die Einsicht, dass JHWH unerschütterlich und treu für die Versklavten eintritt und dass die Gesetze für die Randgruppen immer wieder neu formuliert werden mussten, um auf diese Treue einigermaßen angemessen zu antworten. Besonders deutlich wird dies z. B. in den Botschaften der Propheten, und hier besonders beim Propheten Amos. Im NT kommt die soziale Problematik einerseits in der Person Jesu und dessen Rede vom Reich Gottes (vgl. Themenbereich Jesus Christus) zur Sprache, andererseits im Zusammenleben der ersten christlichen Gemeinden.
Bei der Anwendung unterschiedlicher Gerechtigkeitsvorstellungen gilt zu beachten: Soziale Probleme sind wahrnehmbar – sei es weltweit oder in unserer Gesellschaft. Sollten aktuelle soziale Problemen gefragt werden, gilt dabei immer zu bedenken: Das Thema „Soziale Gerechtigkeit“ eignet sich nicht für schnelle und einfache Lösungen – gäbe es solche, wären schon längst alle Probleme gelöst. Wichtig ist deshalb stets eine angemessene Ausgewogenheit in der Darstellung, d. h. es ist das Für und Wider zu nennen und daraus sind Schlussfolgerungen abzuleiten, die möglichst viele Aspekte der jeweiligen Problematik berücksichtigen.
Literatur
Hülsmann, Matthias: Konfession: Evangelisch Basiswissen, Gütersloher Verlagshaus 3/2013
Kap. 13, S. 146-164.
Kursbuch Religion Sekundarstufe II Basiswissen Calwer Verlag, Hg. Hartmut Rupp und Veit-Jakobus Dieterich
Kliemann, Peter: Glauben ist menschlich, Calwer 10. Auflage 2001
Kap. IX, S. 238-270.
Weiterführendes Material
- Diakonie Deutschland im Netz: Aktuelle Projekte und mehr
- EKD-Texte 94: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule
- Theologie und Naturwissenschaften – sind das nicht Gegensätze? https://www.theologie-naturwissenschaften.de/
- Frage an Professor Dr. Harald Lesch: Hat Gott mit dem Großen und Ganzen zu tun? YouTube